Im April 2015 besucht Yves B seinen Sohn, der ein Jahr an der von Dominikanern geführten École biblique et archéologique française de Jérusalem (Hochschule für Bibel und Archäologie von Jerusalem) studiert. Bei dieser Gelegenheit taucht er in die charakteristische Atmosphäre der Altstadt und ihrer verschiedenen Viertel ein und lässt sich vom Charme des jüdischen Marktes Mahane Yehuda Market verzaubern.
Während sich die Juden auf Schawuot und die Christen auf Pfingsten vorbereiten, flaniert er durch das Labyrinth der Straßen.

Unterwegs fertigt er spontane Zeichnungen an und lässt sich auf Begegnungen mit Passanten ein, die sein Interesse erwidern. An der Klagemauer trifft er auf Familien aus dem Stadtviertel Mea Shearim, die dort zahlreich vertreten sind. Vor einer neugierigen und beeindruckten Menge, die sich um ihn geschart hat, verewigt er den Augenblick und die ihm zugewandten Gesichter in einer Zeichnung.

 

Am Abend zeigt er seine Skizzen dem Dominikanerpater Etienne Nodet, der diese folgendermaßen kommentiert: „Wenn du deine Zeichnungen auf hebräisch beschriftest, hast du die Schrift eines Siebenjährigen.“
Am folgenden Tag bittet Yves B die Händler, für ihn die Informationen auf den Schildern der Stände und Läden auf seine Skizzen zu schreiben.
Durch diese Einbeziehung, die er bis zum Damaskustor im arabischen Viertel praktiziert, entstehen tiefsinnige Gespräche in herzlicher Atmosphäre, aber auch Situationskomik. Vor einem Telefonladen bittet er den Eigentümer, die Telefonmarke, die über den Geräten angegeben ist, aufzuschreiben. Damit bringt er den Händler zum Lachen. Dieser erklärt ihm, dass die Inschrift auf dem Schild „Allah ist groß“ bedeutet.

Während seines Besuchs stellt Yves B erschrocken fest, dass es kein Zusammenleben zwischen den Gemeinschaften gibt, und die bestehenden Trennungen aufgrund religiöser und territorialer Spannungen, die in Jerusalem allgegenwärtig sind, schockieren ihn.

 

Da es für ihn als Straßburger zum Alltag gehört, dass jüdische, katholische und protestantische Gemeinden trotz ihres starken Identitätsbewusstseins ein aktives Zusammenleben pflegen, empfindet er den Gegensatz noch dramatischer.

Das Zeichnen öffnet ihm die Türen im wahrsten Sinn des Wortes, denn es ermöglicht ihm den Austausch mit unterschiedlichen Gesprächspartnern, denen er während seiner Rundgänge zufällig begegnet und die sich ihm spontan anvertrauen. Vom Zionisten, der stolz eine riesige Flagge Israels über sich hisst, bis zum Palästinenser, der ihm von seiner Haft erzählt, über eine Mutter aus dem Stadtviertel Mea Shearim, die ihm ihre E-Mail-Adresse gibt, damit er ihr das Bild seiner Tochter schicken kann, bis zu den bemitleidenswerten muslimischen Frauen, die am Damaskustor Weinblätter verkaufen.
Auf diese Weise zeugen seine Zeichnungen von der Verbindung, die zwischen dem Alltagsleben der unterschiedlichen Protagonisten über Religionsgrenzen hinweg besteht.

Pater Etienne Nodet ist von der Arbeit von Yves B beeindruckt und bittet ihn, seine Zeichnungen in der Bibliothek und an der Mauer des Klosters auszustellen, um dieses christliche Gebäude für ausdrucksstarke jüdische und muslimische Impressionen zu öffnen.

Zum selben Zeitpunkt entsteht in Yves B die Idee einer Wanderausstellung, die er verwirklicht, um an geschichtsträchtigen oder spirituellen Orten eine Botschaft über Vielfalt, Identitätsmerkmale und Andersartigkeit zu vermitteln.